Müßiggang auf schwarzen Stränden

Zum ersten Mal treten wir eine Fahrt in einem richtig schicken und bequemen Bus an - von Ubud nach Lovina. Und zum ersten Mal kommen wir auch dahinter, weshalb sich die Beifahrer oftmals weit aus dem Fenster lehnen und laut in eine Trillerpfeife blasen. Nämlich jedesmal dann, wenn es gilt, Radfahrer von der Straße zu scheuchen. Warum der Fahrer nicht einfach hupt - von Ausweichen ganz zu schweigen - entzieht sich unserem Verständnis. Aber jedenfalls erfüllt es seinen Zweck: Jeder springt mit seinem Rad sofort in den Straßengraben.

    Nach zweieinhalbstündiger Fahrt vorbei an Reisfeldern, durch kleine Orte und eine zauberhafte Vulkanlandschaft erreichen wir den Scheitelpunkt der Passstraße nach Singaraja. Während der kurzen Pause hier oben in Penelokan genießen wir einen fantastischen Ausblick auf den Mount Abang und Mount Batur mit seinem tiefblauen Mare, verärgern einen Straßenverkäufer, dem wir nicht sein Schachspiel für umgerechnet 150 Euro abkaufen wollen, und unsere beiden Fahrer dösen im Schatten des Busses. Die Straße hinunter in Richtung Meer ist steil, schmal, hat viele Kurven und führt durch dschungelartige Wälder. Beim Durchfahren einer dicken Wolkenschicht setzt ein kurzer und heftiger Platzregen ein.

Bad mit Aussicht

Wenige Kilometer westlich von Singaraja setzt uns unser netter Busfahrer außerplanmäßig direkt vor unserer neuen Unterkunft ab - dem Losmen Bedahulu. Abseits der Hauptstraße und direkt am Strand gelegen ist es weit und breit das einzige im Umkreis von zwei Kilometern. Nach Lovina sind es 30 Minuten zu Fuß.

   Das ursprünglich erwählte und reservierte Häuschen dürfen wir leider nicht beziehen. Das muss fürs Wochenende freigehalten werden. Auch gut, wir entscheiden uns für das gegenüberliegende, es sieht genau so hübsch aus und liegt auch direkt am Strand. Das wiederum will uns die Wirtin ungerne vermieten, da das Dach im Bad nicht ganz in Ordnung ist. Wir sehen kurz nach - nur ein unbedeutendes Loch in der Decke - was sollīs, uns stört es nicht. Bei späterer Identifizierung der Verursacher nehmen wir uns allerdings vor, das Ding im Auge zu behalten - Kokosnüsse müssen wir bei der Nutzung des stillen Ortes nicht gerade auf den Kopf bekommen...
   Den herrlichen Strand direkt vor unserer Terrasse haben wir ganz für uns alleine - bis zum Wochenende jedenfalls. Gegen Abend kommen vereinzelt Leute vorbei, schwimmen ein wenig, gehen spazieren, oder Kinder spielen eine Runde Fußball. Wenn die Sonne weg ist, sind wir wieder alleine. Wir lieben dieses Fleckchen.

   Als einzigen Gästen wird uns nur ein Frühstück serviert. So betätigen wir uns abends immer noch etwas sportlich und laufen am Strand entlang nach Lovina zum Essen. Unterwegs genießen wir den Sonnenuntergang, gucken uns die bunten Hütten am Wasser an, wobei wir immer wieder interessante Einblicke ins einheimische Leben erhaschen. Aus einem Garten kläfft uns jedes Mal ein winziger Hund an, wenn wir vorbeikommen, in einem anderen wird eine Strandbar gezimmert. Kinder basteln ein Floß zusammen und freuen sich, als wir es eingehend begutachten.

    Ein kleines gemütliches Restaurant gleich am Ortsrand von Lovina erklären wir zu unserem Lieblingslokal. Es liegt direkt am Strand, man sitzt im Freien unter einem Strohdach, und das Essen ist wunderbar. Angenehm auch mal die etwas andere Hintergrundmusik von Stones, Dire Straits und Supertramp. Da wir auch hier stets die einzigen Gäste sind, genießen wir fast eine Art Familienanschluss. Die Wirtin präsentiert uns stolz ihre europäische CD-Sammlung, ihre Schwester erzählt uns spannende Anektoten. Etwa die über eine gefährliche Sonnenanbeterin-Spezies, an deren Biss schon Leute gestorben sein sollen (die am Balken neben unserem Tisch ist keine solche, wie sie betont), oder dass man die dicksten Krabben nur in den vier Nächten um Vollmond herum fängt. Deswegen also die vielen Männer, die heute mit Lampen im Wasser umherwaten.
   Die kleine, schätzungsweise zehnjährige Schwester der Köchin lässt uns nicht aus ihren Fängen. Sie sieht nicht nur niedlich aus, sondern verfügt auch über einen unwiderstehlichen Charme, wenn sie uns mit ihren paar Brocken Englisch zuquasselt. Sie entpuppt sich darüber hinaus noch als ausgesprochenes Verkaufstalent. Nach zahllosen Anläufen und zähen Verhandlungen geben wir uns geschlagen und erstehen ein paar hübsche Glasperlen-Armbänder mit dazupassenden Halsketten. Wir haben sie offenbar sehr glücklich gemacht, denn fortan legt jemand immer die Stones auf, sobald wir im Anmarsch sind.

Tierische Begegnungen

Ein kleiner Zwischenfall vor unserem Häuschen ist vielleicht mit der Auslöser, sich auch einmal wieder vom Strand weg zu bewegen um mehr von der Gegend kennen zu lernen. Wir sitzen im Schatten und lesen - jeder angelehnt an seinem Lieblingsbaum. Plötzlich schreit Hans: "Pass auf! Eine Schlange!" Linda wirft sich mitsamt Buch auf die Seite, sie hat eine Bewegung neben sich wahrgenommen. Vorsichtig untersuchen wir mit einem Stöckchen unsere Strandsachen, die Schlange ist längst über alle Berge. Hans berichtet, er habe sie entdeckt, als er zufällig kurz aufsah, und sie ihn über sein hochgezogenes Knie hinweg angeguckt hat. Dann sei sie schnurstracks auf Linda zugeeilt. Sie sei bräunlich und nicht ganz einen Meter lang gewesen. Erkundigungen nach den hiesigen Arten wird allgemein ausgewichen mit "Don`t know".

   Der nächste Kontakt zur heimischen Fauna ist wesentlich erfreulicher. Einen Tag, mit Leihrädern unterwegs (bei Lindas Rad springen bei jedem Gangwechsel die Ketten heraus), entdecken wir in einem Wäldchen bei Lovina einen kleinen indonesischen Flugdrachen. Seine Tarnung ist perfekt, wir werden erst auf ihn aufmerksam, als er von einer Palme zur nächsten gleitet. Er zieht die höheren Regionen vor, was das Fotografieren dieses Winzlings umso schwieriger gestaltet.

   Für den Ausflug zum gut 60 Kilometer entfernten Westbali Nationalpark leisten wir uns ein Taxi. Auf dem Parkplatz, wo angeblich alle Guides auf Gäste warten, stehen nur Taxifahrer herum und gucken konsterniert, als wir nach Begleitung suchen. Schließlich taucht doch noch ein Ranger auf, der uns durch einen der letzten Urwälder führen kann. Ein Trampelpfad schlängelt sich zwischen hohen Baumgiganten und Riesenwurzeln hindurch. Wir bestaunen die Vorhänge aus dicken Lianen, Bäume mit dornenbewaffneter Rinde, einen kleinen dem (leider schon lange hier ausgestorbenen) Tiger geweihten Tempel, und rasten an einer mangrovenumsäumten Lagune.
   Unser Guide raunt uns zu, mit viel Glück bekämen wir womöglich die sehr seltenen Black Monkeys zu sehen. Es muss unser Glückstag sein: Sie turnen überall herum. Wir haben den Eindruck, unser Guide hat leicht übertrieben. Aber natürlich würdigen wir seinen Einsatz für unser Erfolgserlebnis mit einem dicken Trinkgeld. Außerdem hat uns die Wanderung mit dem rührigen Mann großen Spaß gemacht, und wir haben wieder ein neues, zauberhaftes Fleckchen Bali kennen gelernt.

Weekend und ein Todesfall

Samstag füllt sich unser Strand zusehends mit Menschen. Der Parkplatz neben unserem Guesthouse ist bis Mittag voll belegt mit Kleinwagen, Minibussen, Mofas und Fahrrädern. Auch der Bungalow uns gegenüber ist heute bewohnt - wie wir hören, vom Bürgermeister von Singaraja.
    Kaum hat ein Suppenmann neben unserer Terrasse im Sand seinen Karren aufgestellt, schon strömen Leute herbei. Die Suppe wird in kleinen Porzellanschälchen serviert - der Mann hat Stil! Wir sind knapp davor, auch eine Portion zu probieren, aber reden uns dann - feige wie wir sind - aufs baldige Abendessen aus. Die Bar ist proppenvoll, und unsere Vermieter kommen heute zum ersten Mal so richtig ins Schwitzen. Als wir spät heimkehren, finden wir Bedahulu wieder verschlafen und in tiefste Finsternis gehüllt vor.
   Ans Einschlafen jedoch können wir diese Nacht lange nicht denken. Eine Katze hat unser Dach auserkoren, um ununterbrochen und lautstark nach ihren Jungen zu schreien. Alle "Pscht"s oder Klopfversuche sind vergebens. Wir verfluchen sie trotz nachmittäglich geschlossener Freundschaft und Streicheln. Gottseidank können wir ja ausschlafen.
    Die Nachtruhe ist indes von kurzer Dauer. Aufgeschreckt durch Musik, die vom Strand her ertönt, stehen wir auf, um einen Blick durchs Klofenster zu werfen. Die Sonne muss wohl gerade aufgegangen sein. Wir trauen unseren Augen nicht: Drei Meter neben unserem Bad hat sich ein Gamelanorchester eingefunden, das eine Gruppe von an die fünfzig feierlich gekleideten Menschen beim Singen und Beten begleitet. Alles verbeugt sich dabei mit gefalteten Händen in Richtung Meer, wo ein Mann wiederholt ein halbwüchsiges Huhn in die ersten Wellen wirft, sobald es wieder an Land gepaddelt ist. Jetzt sind wir zwar wach, aber wagen uns nicht aus unseren vier Wänden heraus. Vielleicht ist unser Anblick während der Zeremonie nicht willkommen, wer weiß. Wir schleichen hinten herum zur Bar und fragen, was da los ist. Es ist nur eine Beerdigung, meint unsere Wirtin, wir können ruhig zusehen, auch Fotos machen, keinen störtīs.
   Also wohnen wir dem Spektakel von unserer Terrasse aus bei. Das kleine Huhn pickt mittlerweile im Sand umher, der Tote hat seinen Frieden gefunden. (So erklärt es uns später der Großvater unserer Wirtin. Schwimmt das Huhn aufs Meer hinaus oder ertrinkt gar, ist das ein schlechtes Omen, und die Familie muss für den Verblichenen und seinen Seelenfrieden die Zeremonie wiederholen). Wir hoffen inständig, es möge neben unserem Häuschen keine Verbrennung stattfinden. Das Orchester macht Pause, und offensichtlich beginnt somit der gemütliche Teil der Feier. Frauen zaubern aus Decken und Körben Speisen hervor und servieren sie in Bananenblättern. Held des Tages - zumindest unter den Lebenden - ist unser dreibeiniger Freund, der Strandhund. Heute kann er sich so richtig den Bauch vollschlagen und muss nicht betteln.

   Ein ereignisreicher Tag neigt sich dem Ende zu. Und leider auch ein weiterer Abschnitt unserer Reise. Abschied vom Meer müssen wir noch nicht nehmen - morgen brechen wir auf gen Osten, nach Amed.