Lombok light und Gilis pur

Die Frühmaschine nach Mataram startet Mittag - ein Gouverneur wird erwartet. Der Luftraum über Bima ist gesperrt, im Flughafengebäude sorgt ein Riesenaufgebot an bewaffnetem Militär für Chaos, und auf der Landebahn hält eine bunte Truppe zum Empfang des hohen Gastes ein Tanzritual ab. Das dauert. Dafür freuen wir uns, endlich mal einen Flug mit Raucherplätzen erwischt zu haben. An Bord verkündet dann die Stewardess, dass auf dieser Strecke Rauchverbot herrscht.

Zum Heulen schön

Auf Lombok wollen wir ein paar Tage relaxen, im Sand liegen, schwimmen und (endlich mal) schnorcheln. In der Nähe von Kuta Lombok finden wir eine zauberhafte Unterkunft: gepflegter Garten, blühende Sträucher, kleine Bungalows unter Palmen, nettes Restaurant. Der Blick aufs Meer raubt uns schier den Atem. Mangroven umgeben in weitem Bogen eine halbmondförmige Bucht, die von bizarr geformten schwarzen Felsen flankiert ist. Das Wasser schimmert darin dunkelgrün wie Jade.
   Eine nähere Betrachtung offenbart später, wie trügerisch diese Idylle ist. Klapperdürre Kinder in Lumpen betteln uns auf dem Weg zum Strand an oder wollen uns verschrumpelte Früchte verkaufen. Einen Meter neben der Straße auf dem Strand haben Leute aus Obstkisten, Schrott und verkohlten Holzresten ein erbarmungswürdiges Lager errichtet. Als Bedachung dienen alte Plastiktüten, Müllsäcke und schmutzige Planen. Es leben hier schätzungsweise an die hundert Menschen. Frauen köcheln vor ihren Verschlägen, alte Männer sitzen im Sand, keines der sonst so fröhlichen Gesichter - ein Anblick, der uns noch lange verfolgt. Ein kleines Mädchen läuft uns bis zum Ende der Bucht mit einer winzigen Orange nach. Linda kauft die Orange, setzt sich auf den nächsten Felsen und ist fix und fertig.

Die Flucht

Wir fragen unseren Vermieter, was es mit den Leuten am Strand auf sich hat. Er meint, sie seien Zigeuner. Gegen Ende unserer Reise - auf Java - erfahren wir zufällig, dass es Bewohner eines Dorfes aus der Gegend sind, das einfach abgerissen wurde, um für eine noble Hotelanlage Platz zu schaffen. Jetzt wissen sie nicht, wohin sie gehen sollen.
   Als abends der Fernseher des Restaurants auf Anschlag hochgedreht wird, und unmittelbar hinter unserer Hütte eine (miserable) Band sich für den Rest der Nacht einstimmt, beschließen wir einhellig, weiter zu ziehen.
   Der von unserem Wirt angeheuerte Fahrer (Busse halten hier nur gelegentlich) ist ganz begeistert zu erfahren, dass es fast quer über die ganze Insel nach Bangsal gehen soll, unserem Sprungbrett zu den Gili-Inseln. Er ist ein fröhlicher Mann und ein begnadeter, unterhaltsamer Fremdenführer mit einwandfreiem Englisch. Die Fahrt durchs Landesinnere ist durchwegs kurzweilig, beginnend mit der originellen Spritversorgung an der örtlichen Tankstelle.
   Wir legen zahlreiche Zwi-
schenstopps ein ("Make a Photo?") und besuchen unter anderem ein Batik-Studio und eine Weberei. Die Teppiche sind wunderschön, aber in unseren Rucksäcken ist beim besten Willen kein Platz mehr. Auch wenn wir ihm jetzt sicher eine satte Provision vermasselt haben: Unser Guide informiert uns unverdrossen weiter und erklärt unter anderem ganz ernst, wie gefährlich Weben für Männer ist. Wenn sie den ganzen Tag lang den schweren Kamm mit Kraft an ihren Körper heranziehen, werden sie ganz schnell impotent. Wer hätte das gedacht! Dass unsere Weberin mindestens im achten Monat schwanger ist, ersparen wir uns der Einfachkeit halber anzusprechen.

   Nördlich von Mataram führt die Straße eine Weile ein nahezu ausgetrocknetes Flussbett entlang, wo Leute in den wenigen verbliebenen Pools ihre Wäsche waschen und sie zum Trocknen auf riesige, glatt geschliffene Felsbrocken ausgelegt haben.
   Der nächste Stopp ist neben einer Bude am Straßenrand, wo unser Guide einen Sack Nüsse ersteht. "Für die Affen", meint er. Kaum halten wir in der nächsten Kurve an, schon kommen die ersten aus dem Gebüsch heraus, und bald sind wir umringt von einer Horde Javaneraffen. Auch wenn es kleine und zierliche Tiere sind: Wenn sie so kreischend, mit gefletschten Zähnen herumsausen und raufend ihre Rangordnung untereinander klären, bekommt man schon gehörigen Respekt vor ihnen. Manche nähern sich aber auch ganz dezent und nehmen vorsichtig und schüchtern die Nüsse aus unseren Händen.

   Am Nachmittag erreichen wir Bangsal, die Endstation unserer kleinen Rundreise. Unser Guide hat sich wahrlich ein dickes Bakschisch verdient. Ehe wir ein Boot hinüber nach Gili Air bekommen, vergehen an die zwei Stunden - die anwesenden Kleinkapitäne warten, bis mindestens fünfzehn Passagiere zusammenkommen. Verkaufstüchtige Kinder belagern uns wieder einmal, und Linda überlegt, ob sie sich nicht einen dieser netten Chinesenhüte zulegen sollte. Im Sortiment der Kids gibt es so etwas nicht. Aber "No problem!", ein Junge saust los, um einen zu besorgen. Er kehrt mit einem eindeutig gebrauchten Exemplar wieder zurück. Da Hans meint, der Hut sähe blöd aus, ist Linda ziemlich enttäuscht. "Jetzt ist mein kleiner Bruder so gerannt, dass er ganz müde ist", klagt ein ebenso enttäuschter Junge. Das Argument überzeugt, wir kaufen zwei T-Shirts, und alle Handelspartner sind zufrieden.

Auf den Gilis

Inzwischen ist der fünfzehnte Tourist auch eingetroffen, und
wir dürfen ein Auslegerboot besteigen. Das Starten - mittels Reißen an einem um die Schwungscheibe des Motors gewickelten Seil - funktioniert nicht. Der Außenborder muss zerlegt werden.
   Nach langem Warten in sengender Sonne (Linda wünscht, sie hätte sich beim Hutkauf nicht verunsichern lassen) setzen wir endlich zu den Inseln über. Auf Gili Air steigen außer uns nur drei weitere Personen aus, die anderen wollen alle nach Terawanggan, wo mehr los ist.
   Wir lassen uns von einem der auf Ankommende Wartenden abschleppen, so bleibt uns die eigene Suche nach Unterkunft erspart. Mit einem Doka, dem hiesigen Ponykarren, erreichen wir zehn Minuten später unsere Bleibe für die nächsten vier Tage. Wir sind begeistert: Eine Handvoll kleine Bambushütten, weit weg von den dicht aneinandergedrängten Quartieren in Nähe der Anlegestelle, direkt am Strand, von Palmen umgeben und mit Blick genau in den Sonnenuntergang. Das Meer glitzert bereits in verheißungsvollen Gelb- und Rosatönen. Weit entfernt am Horizont erkennen wir die markante Silhouette des höchsten Vulkans auf Bali, Mount Agung. Unser Wirt ist Fischer, kocht für seine Gäste selbst und verleiht Schnorchelausrüstung - was will man mehr.

   Nächster Morgen: Das Meer ist weg. Lediglich ein schmaler Glitzerstreifen in Richtung Gili Meno lässt die Existenz von Wasser erahnen. Nach Schwimmen und Schnorcheln - zumindest nach dem Motto: aus der Hütte ab ins Wasser - sieht das hier nicht aus. Egal - ein Grund mehr, sich vor Ort genauer umzusehen. Nach eineinhalbstündiger Inselumrundung wissen wir, wo es nette Strandplätzchen mit und ohne Schatten gibt, wo sich eine Bank befindet (denn langsam geht uns das Bargeld aus), und dass wir trotz abwesendem Meer bei Frühebbe die eindeutig beschaulichere Seite des kleinen Eilands erwischt haben.

   Ein Angebot unseres Wirts, per Boot und Schnorchel die Korallen-
riffe zwischen unserer Insel und Gili Meno zu erforschen, nehmen wir begeistert an.
   Meeresbiologen berichten, dass die hiesigen Riffe bereits nicht mehr ganz intakt sein sollen. Eine solch bunte Arten- und Formenvielfalt, wie wir (Laien) sie unter Wasser entdecken, haben wir bisher auf keiner unserer Urlaubsreisen erlebt. Als wären wir selbst Mitbewohner dieses exotischen Lebensraums, schwimmen wir neben Trompetenfischen und kleinen Barracudas her, lassen uns von dicken Buntbarschen beäugen und von Schwärmen kleinster Fische in allen erdenklichen Farben und Mustern umkreisen. Linda meint, einen Steinfisch auf einem Felsen zu entdecken, eine nähere Untersuchung unterlässt sie aber lieber. Womöglich ist es wirklich einer, und er mag es nicht, wenn man ihm zu nahe kommt, wer weiß. Ein Steilabfall am Rand des Atolls zieht Hans in seinen Bann. Schwebend über dem Abgrund und hypnotisiert vom Anblick riesiger Fischschwärme sowie der undurchdringlichen Schwärze unter sich dümpelt er langsam aber beständig in einer Strömung immer weiter von Linda weg. Es ist ein Jammer, dass wir zu Hause nicht eine dieser Unterwasser-Einwegkameras gekauft haben!

   Es ist ein großer Irrtum anzunehmen, das Erlebnisspektrum auf einer nur wenige Quadratkilometer großen Insel sei beschränkt. So wird etwa die Suche nach einem Schattenplatz am Strand zum kleinen Abenteuer oder auch das Finden einer Wechselstube, die irgendwann überhaupt einmal geöffnet ist und dann auch noch Geld zur Verfügung hat.

   Nie langweilen wir uns an den Abenden in Restaurant und Hütte. Unser Wirt überrascht uns ausschließlich mit Speisen, die wir nicht bestellt haben. Dafür kocht er hervorragend, und egal, was wir vorgesetzt bekommen: Es schmeckt köstlich. An einem Abend ist ein Gitarrist engagiert, der sein Spiel zuweilen unterbricht, um mit seinem Schuh eine vorbeisausende Kakerlake zu erlegen. Ein andermal geht das Bintang aus, und der Strom ist ausgefallen. Jeder der fünf Gäste bekommt eine Karbidlampe in die Hand gedrückt, um dem Sohn des Hauses beim Durchstieg des Zauns zum (bereits schlafenden) Nachbarn zu leuchten. Der hat noch Vorräte im Garten stehen.

   Das Geheimnis des allabendlichen Geklappers im Mandi lüften wir schließlich in der letzten Nacht. Im Ausguss ist ein Einsiedlerkrebs beim Versuch von unten einzusteigen steckengeblieben. Er ist wohl nicht der Einzige, denn unter ihm vernehmen wir das vertraute Knacken, Klappern und Rascheln. Mit einer Kerze laufen wir zur Außenseite unseres Bads und werden dort Zeuge des drolligen und skurrilen Spektakels: Unter Ge-räuschen, als würde man einen Sack Muscheln schütteln, mühen sich Dutzende von Einsiedlerkrebsen aller Größenordnungen nebeneinander, unter- und übereinander krabbelnd vom Sand hinauf zum Abflussrohr. Oben am Ende der Pyramide aus Schneckenhäusern geht nichts mehr weiter, die Ankömmlinge kippen zur Seite und fallen, laut über die Kollegen klackernd, wieder zu Boden.

   Nach vier Tagen, die wie im Flug vergangen sind, bedauern wir, dieses liebenswerte kleine Paradies schon wieder verlassen zu müssen. Der letzte Blick von unserer Terrasse auf den Agung in Abendlicht getaucht versüßt uns den bevorstehenden Aufbruch: Denn genau dorthin geht es morgen - nach Bali.