Von Windhoek in die Wildnis

Wir haben es geschafft: Nach zwei missglückten Anläufen in den vergangenen Jahren werden wir nun gemeinsam mit Freunden drei Wochen lang ein weiteres faszinierendes Land in Afrika erkunden - Namibia. Zum ersten Mal sind wir nicht alleine unterwegs, sondern zu neunt und auch noch unter fachlich topfitter Führung unserer Freundin Heidi, Geografin und Veranstalterin von Studienreisen.
   Ebenfalls zum ersten Mal haben wir uns eine Dreitage-Notration an Wäsche und Klamotten ins Handgepäck gestopft. Es heißt, dass Gepäck via Johannesburg oft nicht ankommt. Die Spannung am Windhoek-Airport ist groß, aber alle Koffer rollen letztlich brav an. Nach einer Stunde Einreiseformulare-Ausfüllen - man wartet jeweils auf den einzig verfügbaren Kugelschreiber, den von Heidi - kann das Abenteuer beginnen.
   Nach diversen Verzögerungen mit den Autovermietern (Heidis reservierter Wagen ist noch nicht fertig repariert, Linda und Hans erhalten ihr Auto in der Stadt) dauert es seine Zeit, ehe alle Teams wie verabredet bei der Lodge eintreffen. Ziemlich geschafft von der Reise relaxen wir im gemütlichen tropischen Garten, am Pool oder vor dem Bungalow mit einer Kanne Kaffe, halten Ausschau nach den laut quäkenden grauen Loris und machen Bekanntschaft mit den prachtvoll gefärbten Namibia-Agamen, die an unserer Hauswand umherturnen.
   Unser erster Namibia-Tag klingt aus mit einer kleinen Wanderung bergab in die Stadt - vorbei an deutscher Kolonial-Vergangenheit und markigen Schildern wie "Kaiser-Wilhelm-" oder "Bismarck-Straße" zu einem italienischen Restaurant namens "Luigi The Fish". Die Herren freuen sich: Es gibt Original-Schneider-Weiße; eine Surhaxe steht auch auf der Speisekarte, aber da traut sich keiner. Wir wollen ja nicht gleich am ersten Tag übertreiben...Ehe wir uns auf den Heimweg machen, lässt es sich der Manager nicht nehmen, uns seine neu eingerichtete Bar im ersten Stock zu zeigen. Ganz stolz präsentiert er uns eine exquisite Sammlung von Weinen und Höherprozentigem aus aller Welt. Gegen einen kleinen Absacker hätten wir nichts gehabt, aber das Etablissement ist noch nicht in Betrieb, wie uns der Chef erklärt.
   Nach einem ausgiebigen Provianteinkauf für die kommenden Tage "abseits der Zivilisation" bleibt nur kurze Zeit, um die Landesmetropole zu erkunden. So beschränken wir uns auf die bekanntesten Sehenswürdigkeiten: die Christuskirche und das martialische Reiterdenkmal nebenan, das an die während der Herero- und Nama-Aufstände gefallenen deutschen Schutztruppler erinnert. Besser gefallen Linda die beiden Himba-Frauen, die auf unsere kleine Gruppe zueilen. Während sie sich zu Füßen des Südwesterreiters postieren, fordern sie zehn Rand pro Person für ein Foto. Grimmig verlangt eine Hübsche nach dem "Shooting" von Linda eine Extra-Gage wegen mehrfachen Ablichtens. Heidi löst den kleinen Konflikt souverän mit einem leicht aufgerundeten Sammel-Honorar.
   Ein Youngster ist abgängig, als wir uns zum Aufbruch sammeln. Er besichtigt noch das Regierungsgebäude. Die Blitz-Stadttour ist uns ganz Recht - wir freuen uns schon auf das weite Land, das vor uns liegt. Und die erste Wildsafari erwartet uns auch schon: nach 280 Kilometern in Richtung Norden auf der Kambaku-Farm.

    An der Stadtgrenze von Windhoek beginnt sich der linke Frontglas-Gummi aus der Führung zu lösen und trommelt gegen die Windschutzscheibe. Kein Grund, die Autovermietung aufzusuchen - und auch keine Zeit mehr mittlerweile. An irgendeiner Tankstelle werden wir das richten lassen.
   Gelegenheit dazu haben wir in Otjiwarongo. "No Problem", meint unser Tankwart, putzt die Scheibe, stopft den Gummi in die Schiene und klebt einen durchsichtigen Paketklebestreifen darüber und am gesamten Rahmen fest. Eine Bezahlung lehnt unser netter Helfer strikt ab, Trinkgeld nimmt er aber freudestrahlend entgegen. Den verlockenden Markt auf der anderen Straßenseite, von dem unsere Freunde bereits mit ersten Trophäen zurückkehren, können wir derweil vergessen.
   Die letzten Kilometer zur Farm sind Piste - unsere erste (außer denen im Krügerpark, auf denen man mit Tempo 30 unterwegs ist). Wie flugs uns hier die beiden anderen "Namibia-Teams" abhängen und ihre Staubwolken am Horizont verschwinden, ist niederschmetternd wie unsere Erkenntnis, dass die Mitnahme eines zweiten Ersatzreifens auch nicht das Dümmste gewesen wäre. 60 reicht erst mal für heute...
   Zurücklehnen, festhalten und genießen ist das Motto der geführten abendlichen Jeeptour, die durch zauberhaftes, weites Buschland führt. Zu beobachten gibt es jede Menge Kudus, nistende Geier und zu unser aller Begeisterung eine - weit entfernte, misstrauisch in unsere Richtung guckende - Oryx-Antilope. Unser Ranger legt diverse Stopps ein: bei einem der riesigen Webervogel-Nester, die einen Baum überziehen, bis sie ihn ersticken können, und einem Termitenhügel, wo wir eine Kurzanleitung erhalten, wie festzustellen ist, ob noch Termiten drin sind oder der Hügel verlassen ist. Sind Löcher in der Wand, haben ihn Schlangen zum Schutz und angenehmen Temperierung ihrer Eier besetzt. Im Zweifelsfall hilft nur, einen Arm hineinstecken, rät unser Führer. Ganz bestimmt testen wir das mal aus...
   Heute gibt es Braii. Bedauern wird von manch kritischer Seite ausgesprochen ob des zu lange gegrillten Kudus. Und schmeckt es hervorragend. Nach Vertreiben einer unbekannten, überdimensionalen Spinne in unserem Zimmer lassen wir uns mit unserer Weinflasche auf zwei gemütlichen Liegen nieder, etwas abseits an einer lauschigen Stelle unter einem Baum, vor uns die Weite des Busches, kein Zaun, nur die Geräusche der Nacht. Erst als wir den alten Wachhund neben uns wahrnehmen - in Habachtstellung und mit aufgestellten Lauschern, den Blick in die Finsternis gerichtet - hören wir nicht weit entfernt ein Scharren, Schnaufen und andere undefinierbare Tierlaute. Womöglich eine von den vielen Hyänen, die hier angeblich herumlaufen. Wir stehen auf und trinken unseren Wein auf der Restaurant-Terrasse aus.

   Heute geht's zur Etoscha-Pfanne - und heute macht Heidi Ernst mit frühem Frühstücks-Appell. Die Strecke ist zwar nicht lang - 320 Kilometer hauptsächlich Teerstraße - aber auf dem Programm stehen ein Abstecher zum Hoba-Meteoriten, nach Tsumeb und zum Ojikoto-See.
   Vor 80.000 Jahren herabgefallen, fast 60 Tonnen schwer, liegt der Eisen-Nickel-Koloss heute sehr fotogen eingebettet in eine Art Amphitheater und erinnert irgendwie an ein Kudu-Steak. Er ist der größte jemals auf unserem Planeten gefundene Meteorit und hat sich damit einen Platz im Guiness-Buch der Rekorde gesichert. Es ist schon ein ganz hübscher Brocken - klar, dass jeder da mal raufklettert für ein "gemeinsames" Foto.

    Wir hoffen, noch mit dem Sprit bis Grootfontein zu kommen. Unser X-Trail frisst offenbar gute 14 Liter auf 100 Kilometer - und die Piste zieht sich. Noch mal Schwein gehabt, aber wir nehmen uns vor, jetzt wirklich jede verfügbare Tankstelle zu nutzen. Sie sind verdammt spärlich gestreut. Für Tsumeb war kein Treffpunkt vereinbart - oder wir haben's nicht mitbekommen. Wir kreuzen zunächst etwas wirr durch die Straßen des Minenstädtchens und parken schließlich einfach gegenüber dem Bohrturm der alten Kupfermine. Da kommen sie am ehesten vorbei. Nicht lange und unsere Weggefährten treffen im Konvoi ein. Man hat unterwegs beschlossen, im berühmten Etoscha-Cafe ein Päuschen einzulegen. Unsere Intuition war zwar in Bezug auf den Bohrturm nicht ganz richtig, aber unser Auto steht direkt vor besagtem Cafe. An einer altdeutschen, postkartenkitschigen Stube inklusive Stammtisch und Zubehör vorbei geht's in den "Biergarten", tropisch, mit blühenden Pflanzen zugewuchert, hängende Blumentöpfe überall - schattig und sehr gemütlich. Der von fast allen georderte Leberkäs-Toast schmeckt super.
   Die Beine vertreten wir uns im Anschluss an die Völlerei im Museum um die Ecke, das einen kompakten Exponat-Mix aus hiesiger Bergbau-, Minen- und kultureller Vergangenheit bietet: von alten Häuptlingsfotos, Jagdwaffen, Schmuck, Flechtwaren über Kanonen aus dem Ersten Weltkrieg, diversen Fördergerätschaften und -maschinen bis hin zu wunderschönen Mineralien. Der Kiosk am Ausgang bietet davon einige zum Verkauf an - wir nehmen einen der putzigen Autoaufkleber mit einem Warzenschwein mit.

   Letzte Station der heutigen Etappe ist der Ojikoto-See, eine Rarität - außer ihm gibt es nur noch einen weiteren natürlichen See in Namibia, den nahegelegenen Lake Guineas. Kreisrund, im Einsturzloch einer Höhle, 100 Meter tief, versorgt er heute die Landwirtschaft rund um Tsumeb. Zur Blütezeit des Bergbaus diente er den Minen als Wasserlieferant, im Ersten Weltkrieg versenkten dort die Truppen ihre Kanonen, damit sie nicht in feindliche Hand gerieten (einige geborgene zu bewundern in obigem Museum).
   Ein großzügiges Freizeitgelände für Jung und Alt umsäumt den See, mit Spielplätzen, Streichelzoo und den typischen Grillplätzen. Eintritt gewährt ein Steg mit einem hölzernen Tor, einem Konstrukt aus nachempfundenen Stammestotems, darüber ein Begrüßungs-Schild mit der Aufschrift "Glück auf!". Gebrauchen könnte das die bemitleidenswerte Kreatur von Krokodil, die im brackigen, flachen Tümpel nebendran vor sich hinvegetiert. Oder auch die Schlangen aus der Umgebung, damit sie nicht wie ihre Kollegen im hiesigen Souvenirshop im Einmachglas enden.