Badlands - Interior - Wall - Devil's Tower

Farbige Kunstwerke der Erosion

   Wir sind gespannt, ob uns die Nebelsuppe, die die Black Hills fest im Griff hat, heute noch loslässt. Bis Rapid City ist es dicht, erst weit östlich auf dem Highway 43 reißt die Wolkendecke endlich auf und wir können unsere dicken Pullover ausziehen. Ganz schön zugig ist's trotzdem hier in der Prairie, unseren nicht gerade leichtgewichtigen Chrysler müssen wir ab und an in der Spur halten.
   Für die nächsten beiden Nächte haben wir uns eine der "New Cabins" in der Interior Cedar Creek Lodge gegönnt, im Badlands National Park und direkt zu Füßen der spektakulären Szenerie. Ein Restaurant gibt's dort zwar, wir finden es aber irgendwie nicht Dinner-kompatibel - "geseated" wird nur bis 18.30 Uhr, kurz vor Sunset und die Zeit besten Fotolichts, also: Proviant besorgen für zwei Abende - im Park und Umkreis von 30 Meilen bekommt man sonst nichts. Scenic ist unterwegs der einzige auf der Karte angegebene Ort. Linda will dort den General Store oder Ähnliches aufsuchen. Dass wir Scenic offenbar nicht wahrgenommen haben - da war auch kein Ort - merken wir erst, als wir in Interior ankommen.
   Wie so oft steigt die Spannung, welche der Unterkünfte wir zugewiesen bekommen. - manchmal sind es die auf der Schokoladen-Seite, manchmal die mit Blick auf irgendetwas Hässliches. Hier sollten alle eine ähnlich hübsche Lage, die mit Super-View, haben. Unsere Hütte ist die letzte am Gelände neben einer Baustelle, mit Riesen-Erdhaufen und Bagger zwei Meter neben unserem Eingang. Die Cabins neben uns sind leer und werden wohl gerade renoviert. Linda versucht, die Rezeptionistin zu einem Wechsel zu bewegen, aber die mag oder kann nicht, angeblich ist alles belegt (um halb drei). Aber auf den zweiten Blick - Hans hat das wunderbare Talent, die gute Seite der Dinge ins rechte Licht zu rücken und Linda wieder auf den Boden zu holen - ist unser Hüttchen wunderschön, hat hintenraus eine gemütliche Terrasse mit Holztischchen und -stühlen und liegt in der Front-Reihe, mit nichts davor als dieser Traumkulisse. Und wenn man nicht um die Ecke guckt, sieht man den Haufen auch nicht mehr.
   Ess- und Trinkbares besorgen wir uns in Wall - schlappe 60 Meilen hin und zurück. Aber ist ja früh am Tag. Im örtlichen Food Mart erstehen wir als derzeitige Inhaber einer Mikrowelle Pizza und Hackfleisch-Röllchen (bis hierhin dürfte der Aktionsradius des EU-Pferdefleisch-Handels wohl nicht reichen), Wein und ein 10er-Set Plastikteller (mikrowellensicher) und -Besteck.
   Ehe das alles zum Einsatz kommt, haben wir auf dem Rückweg noch wunderbare eineinhalb Stunden Zeit, bei dramatischer Beleuchtung den Big Badlands Overlook zu genießen, ein wenig zwischen den bizarren Formationen umherzulaufen und vom Window Trail aus einen zauberhaften Sonnenuntergang über der Prairie zu erleben. (Unsere erste Ladung der Riesenpizza verkohlen wir dann, aber mit der nächsten klappt's.) Essen müssen wir allerdings drinnen, die abendlichen Temperaturen hier sind für Mitte September unerwartet frostig.
   Noch kälter ist's am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang, als Linda ahnungslos im T-Shirt rausgeht, um den Bergspitzen zuzusehen, wie sie ins erste Tageslicht eintauchen. Als es heller und gottseidank auch wärmer wird, erwacht auch das Leben um uns: Ein Hase hoppelt auf der Wiese vor uns herum, hübsche Vögel, Wiesenstärlinge, gucken nach, ob draußen gefrühstückt wird, unser Nachbar telefoniert vor seiner Tür mit dem Handy. Und überhaupt: Höchste Zeit, mal unseren Lieben daheim ein Lebenszeichen zu geben. Im Gegensatz zu unserem Nachbarn können wir mit unserem Gerät nichts anfangen - "No Service", meint es.
   Egal. Nach einem üppigen Frühstück vorne im Restaurant - Linda erwischt vom warmen Buffet Toasts, die sich beim Verzehr zusammen mit gesalzenem Rührei als etwas Sirupgetränktes herausstellen - nach "richtiger" Milch erkundigen wir uns heute lieber mal.
   Heute stehen die Badlands Loop und Sage Creek Rim Road auf dem Programm - eine Reise durch die Erdgeschichte der heutigen Great Plains.
   Bis vor 75 Millionen Jahren war dieser Teil Nordamerikas von einem seichten Ozean bedeckt, der abfloss, als sich die pazifische Platte unter die nordamerikanische schob und die Landmasse hier allmählich anhob. Nach einer Ära subtropischen Klimas und Überfluss an Flora und Fauna setzte ein Klimawandel ein, das Land trocknete aus. Bäume und andere Pflanzen verschwanden, zurück blieb eine Ebene durchlässigen Bodens, auf dem nur noch Gräser gedeihen konnten - die Prärie. Wind, Regen, Hitze und Frost konnten sich hier nun ungehindert austoben, sukzessive die Sedimente des ehemaligen Meeres freilegen und die Landschaft erschaffen, durch die wir jetzt düsen - Badlands.
   Für die Bezeichnung "schlechtes Land" haben wir schon Verständnis, aber als Vertreter der Gattung Tourist sind wir einfach nur hingerissen von der Kulisse aus Türmchen, Canyons, scharfkantigen Graten, Wänden, die wie Kathedralen emporragen, weich gerundeten, in die Prairie hineinfließenden Formationen. Als Einheit betrachtet, wirken die Badlands eher grau; ihre aparten, waagerecht verlaufenden Schichten, besonders die in allen möglichen Rottönen, kommen dafür bei bestimmten Lichtverhältnissen umso eindrucksvoller zur Geltung: bei schräg einfallendem Licht oder einem Sonnenloch vor dunklem Himmel (schlecht bei strahlendem Sonnenschein, kompletter Bewölkung oder zu Mittag).
Formationen in Gelb und den unterschiedlichsten Ockertönen gibt's unter-
wegs am Dillon Pass auch - für die das gleiche gilt: Mittags völlig unscheinbar, stehen sie dann später am Nachmittag plötzlich als bunte Farbkleckse in der Landschaft. "Yellow Mounds" heißen offenbar auch die roten Hügel - die sind zumindest in der Parkbroschüre zu diesem Begriff abgebildet.
   Was der Mensch im Allgemeinen, ausgenommen der gemeine Tourist, nicht gleich verwursten und gewinnbringend nutzen kann, ist zunächst mal "Bad" (meist gut für andere Spezies, es sei denn, die können verwurstet werden - zum Beispiel die Büffel hier vor 200 Jahren). Aber vorbei die Zeiten: Das "schlechte Land" ist heute offenbar wieder ein ganz attraktiver Lebensraum für viele Arten geworden. Die große Bisonherde, die sich entlang der Sage Creek Rim Road herumtreiben soll, entdecken wir nicht. Dafür können wir zum ersten Mal aus nächster Nähe das lustige Treiben in einer Prairie Dog Town beobachten und uns lange nicht von dort losreißen.
    Dickhornschafen begegnen wir auch - dank zahlreicherer Autos am Straßenrand als sonst und mehrerer über eine Wiese huschender Menschen mit Kameras. Wir parken und huschen auch. Auf einer Plattform zwischen den Felsen tummelt sich eine kleine Gruppe dieser Tiere, zwar ohne den kapitalen Bock mit den Riesenhörnern, aber trotzdem nett, vor allem, als sie sich mitsamt Halbwüchsigen in unsere Richtung aufmacht und schließlich die Straße direkt vor uns überquert. Alle freuen sich - wir auch.
   Den Sage Creek fahren wir nicht komplett ab - es ist verdammt zugig hier oben geworden, zudem hat es sich mittlerweise ganz schön zugezogen. Wir stoppen noch mal am Pinnacles Overlook, der bei der Herfahrt im Schatten dicker Wolken lag. Das tut er teilweise immer noch, aber wir verweilen trotzdem an diesem eindrucksvollen Ort, hoch oben am Rand der Prärie, der sich hier wie ein Amphitheater in einem Halbkreis um eine steil abfallende, wild zerklüftete und fast unwirkliche Landschaft spannt - eine irre Kulisse. Und vielleicht diejenige, in der der grandiose Showdown von "Halbblut"ablief, einem unserer Lieblingsfilme. Einfach WOW!
   Auf dem Rückweg in Richtung Ost beginnt der Himmel wieder aufzureißen und der Wind nachzulassen. Gut Zeit haben wir noch, ehe die Sonne verschwindet. So laufen wir eine Kurzstrecke den Castle Trail entlang und drehen die kleine Runde am Fossil Exhibit Trail, wo einige hier in der Gegend ausgebuddelte Knochen von Bewohnern aus den üppigeren, subtropischen Zeiten von vor 35 Millionen Jahren hinter Glas zu bestaunen sind - Mini-Pferde, etwas Schweineähnliches, das aber angeblich nichts mit Schweinen - genetisch gesehen - gemein hat.

    Die Badlands sind ein wahres Dorado für Paläontologen, da als Formation völlig ungestört, nichts umgekippt, nichts verworfen und mit neuen Ablagerungen zugedeckt ist - man bräuchte es hier eigentlich nur den Elementen überlassen, irgendwann neue Knochen freizulegen. Aber das dauert halt und ist für Wissenschaftler auch öde. Eine nette Säbelzahn-Mietze, über die 2013 im Rahmen eines Junior Ranger Programms ein kleines Mädchen quasi direkt hinterm Haus gestolpert ist, kann man im Ben Reifel Visitor Center angucken. Linda konnte einen kurzen Blick darauf werfen bei der Suche nach den Restrooms. Eigentlich blöde, dass wir uns dort nicht näher umgesehen haben, wäre interessant gewesen. Aber DAS Highlight in puncto Fossilien haben wir ja noch vor uns - den Dinosaur National Park mit seiner riesigen Steilwand voller Saurierknochen, der uns 2011 durch die Lappen gegangen ist, weil bis dahin das 2008 abgesackte und zusammengekrachte Visitor Center noch nicht wieder aufgebaut war.
   Ausgiebig genießen wir noch das zauberhafte Abendlicht, ehe wir ins Camp zurückkehren. Heute gibt's die Hackfleischröllchen - wieder nicht vor der Hütte, sondern drinnen im Warmen. Was der nebenbei laufende Weather Channel so von sich gibt, klingt nicht gut - überall "für diese Jahreszeit viel zu niedrige Temperaturen". Das haben wir heute auch so empfunden. Wird spannend, denn morgen brechen wir auf in Regionen, wo im Regelfall der September eh' schon wesentlich kälter ist als hier: nach Westen zum Yellowstone Park. Wir stoßen unverdrossen auf den blöden, sicher von Wanderern erfundenen Spruch mit dem nicht existierenden schlechten Wetter und der falschen Kleidung an - draußen auf unserer netten Terrasse, in der Kälte, aber unter einem unglaublich strahlenden Sternenhimmel. Wenn alle Stricke reißen, kaufen wir uns eben in Gardiner noch Daunenjacken.



Nachmittag ohne Begegnung der Dritten Art


   Auf der Interstate stoppen wir noch einmal in Wall - tanken und Proviant besorgen. Das "Wall Drugs", wo wir gerne durchgelaufen wären - angeblich sehr ergiebig für allerlei Käufe von Knarren bis Souvenirs - verkneifen wir uns. Wir haben noch eine nette Strecke vor uns - 560 Kilometer bis Sheridan, unterwegs den Devil's Tower besuchen und dort herumlaufen. Programm genug.
   Wie er so - von weitem betrachtet - aus der Landschaft ragt, erinnert er ein wenig an einen deplatzierten und unmodernen Wohnzimmer-Kamin. Steht man dann aber darunter ist er gewaltig, absolut beeindruckend - richtig chic vor allem seine filigrane Säulenstruktur. Was wiederum auch nur eine Illusion ist - denn filigran sind die Teile beileibe nicht, die abgebrochen hier herumliegen und seinen Sockel bilden. Wie Ameisen kommen wir uns beim Durchlaufen vor. Eine Begegnung der Dritten Art - wieder befinden wir uns inmitten einer berühmen Filmkulisse - ist uns nicht vergönnt. Aliens treiben sich wohl hier herum, allerdings in Pflanzenform, und wie heutzutage überall, werden sie auch am Devils's Tower erbarmungslos im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen aufgespürt und so gründlich wie möglich ausgerottet.
   Wie wir aus der Parkbroschüre erfahren, ist es notwendig, dazu auch die Felswände zu erklimmen, da sie sich auch dort breitgemacht haben. Die Typen, denen wir beim Abseilen in der Wand zugucken, gehören eindeutig nicht zu den Naturschützern, so ganz ohne Beutel zum Einsammeln von Fremdorganismen - und runter schmeißen die auch nichts. Dafür haben sie offenbar einen Riesenspaß, juchzen und lachen, während sie in schwindelerregenden Höhen umherkrallen. Ist auch für uns und viele andere Zuschauer sehr unterhaltsam von hier unten aus - und zudem sehr aufschlussreich, was die wahren Dimensionen dieses Bergs anbelangt. Unbestrittene Großmeister der Lüfte sind allerdings die eleganten Truthahngeier, die die Aufwinde entlang der Steilwände nutzen und um die Bergspitze kreisen, ohne einen Flügel zu bewegen.
   Großmeister sind wir dagegen nicht - zumindest was die stringente Einhaltung eines Zeitplans anbelangt. Wir haben hier ziemlich lange herumgetrödelt und natürlich nicht mal annähernd den läppisch kleinen Rundgang um den Berg geschafft. Es liegen noch um die 250 Kilometer vor uns - es ist bereits nach vier Uhr und wir sollten besser losfahren. Aber nicht ohne die hiesige Prairie Dog Town zu besuchen, die direkt an der Straße zum Parkausgang liegt.
    Nach einem wiederum reichlich ausgedehnten Aufenthalt hier ist's dann auch schon egal, und so machen wir noch Rast in der gemütlich aussehenden Trading Post, vielleicht finden wir ja ein paar nette Mitbringsel. Daraus wird nichts, dafür erstehen wir für jeweils 5 Dollar eine Riesenkugel Eis, die wir draußen verdrücken, ehe es losgeht. Kaum überschreiten wir die Parkgrenze, haben sich fiese Wolken zusammengeschoben, und Devil's Tower sieht wieder aus wie ein düsterer Monsterkamin. Schwein gehabt.
    Über die Entstehung des Turms streiten sich Geologen immer noch - für manche ist es ein übriggebliebener, verstopfter Vulkanschlot, andere sind überzeugt, er sei durch Intrusion entstanden - ein Konglomerat von aus dem Erdinneren emporgehobenem und noch im Boden erstarrtem Magma. Die typischen sechskantigen Basaltsäulen sprechen für diese Theorie.
    Natürlich erreichen wir Sheridan dann im Stockfinstern,knapp vor Herannahen einer bedrohlichen Schlechtwetterfront mit gewaltigen Blitzen. Das Kaff ist ziemlich hässlich, auch die Motels an der Hauptstraße. Ganz passabel sieht da noch das Budget Host Inn aus, in dem wir dann auch ein Zimmer bekommen, das hinterste, lauschig am Güterbahnhof gelegene - großzügig zur AAA-Rate für unfassliche 65 Dollar. Aber was soll's für die eine Nacht.
    Wenigstens hat noch das Steakhouse ein paar Ecken weiter geöffnet, in das wir einfallen und richtig gut essen. Chardonnay haben sie hier auch - und erstaunlicherweise den ersten Fernseher, dessen Bildformat richtig eingestellt ist, und auf dem die superschlanken Moderatorinnen einmal nicht wie schief dastehende Miss Piggys aussehen. Ehe wir schlafen gehen, arbeitet sich Hans noch schnell durch das dunkelbraune Furnierregal mit tonnenschwerem Fernseher darauf - dahinter, ganz am Boden, befindet sich der Stecker zum Kühlschrank, dem wir den Garaus machen müssen.