Custer State Park - Wildlife Loop - Needles Highway - Mount Rushmore

Jahrhundertflut und Präsidenten im Nebel

   Dass diese Reise mit Schwerpunkt Yellowstone stets ein wenig abweichend von unseren ursprünglichen Plänen verlaufen sollte, hat sich bereits beim Abflug in München angebahnt. Wir haben die Zeichen nur noch nicht erkannt...
   Zum ersten Mal in unserem Reiseleben hat uns die bittere Erkenntnis getroffen, dass wir nicht mehr zeitgemäß unterwegs sind, wenn wir ohne Online-Platzreservierung am Check-In eintrudeln. Und so treten wir die Flüge nach London und anschließend Denver (mit Sicherheit als einzige gemeinsam Reisende an Bord) nicht nebeneinander sitzend an, sondern mit 15 Reihen Abstand. Um uns hantieren Kleinkinder bis hin zu Greisen souverän mit Tablets - die sitzen aber neben ihren Lebensgefährten, haben also online eingecheckt...
   Dafür haben wir zum ersten Mal unser Smartphone dabei (2011 war Telefonieren aus den Staaten nach Hause umständlich und sauteuer) - mit Prepaid-Karte von Amerikas größtem Provider AT&T - laut Hersteller-Website mit "größter Netzabdeckung", in Nationalparks "etwas eingeschränkter Empfang, abhängig von Wetter und anderen Umständen".
   So war denn das Aktivieren der Karte unsere erste Amtshandlung nach nächtlicher Ankunft in Denver bei Platzregen und Nichterhalt unseres reservierten Mietwagens. Geklappt hat's erfreulicherweise und auch dank Zeitverschiebung der Anruf bei unserem Auto-Mann, der um halb sieben morgens die Aufgabe bekam, unseren Mietvertrag auf den richtigen Namen umändern zu lassen, während wir hier ein paar Stunden schlafen. Hat ebenfalls geklappt, wie uns unsere eigentlich sehr nette Alamo-Mitarbeiterin Mila, die von Linda noch vor ein paar Stunden fast erwürgt worden wäre, am nächsten Vormittag stahlend verkündet. Ein kleines Problem gibt es allerdings, meint sie, nachdem sie unsere Reiseroute erfährt: Alle Straßen und Autobahnen in Richtung Norden - also genau da, wo wir hin wollen - sind wegen Überflutungen, eingestürzten Brücken und Bergrutschen gesperrt.
   So treten wir unsere Fahrt nach Custer 100 Meilen in Richtung Osten an, über Nebraska nach Nordwest. Wahrscheinlich eine ganz nette Route, hätte man etwas mitbekommen. Die Landschaft um uns ist verhüllt von Regen und Nebelschwaden. Custer erreichen wir irgendwann gegen halb neun Uhr, im Finstern, ebenfalls bei Regen und hundert Prozent ohne Aussicht auf ein nettes Abendessen irgendwo im Ort. Das All American Inn (im Internet mit hübschen Balkonen und rustikal im Blockhausstil abgelichtet) ist lausig, der Trakt mit den Balkonen geschlossen, ein Zimmer noch zu haben neben einer röhrenden Klimaanlage, aber wir sind müde und haben keinen Nerv etwas anderes zu suchen. Natürlich sind alle Gehsteige hochgeklappt. Wenigstens hat die örtliche Tankstelle ein Herz für nächtens Gestrandete und wir erstehen eine Packung Nüsse und einen Wein, was wir dann vor unserem Zimmer bei Nebel, Landregen, klammer Kälte und den Klängen der periodisch aufheulenden Klimaanlage in Angriff nehmen. Wir sind in den USA angekommen.

   Bei strahlendem Sonnenschein und Wärme entpuppt sich Custer am nächsten Morgen als ganz witziges Örtchen im Stil einer Western-Filmkulisse. Wir schmeißen unsere Koffer ins Auto und fallen in der Bakery an der Hauptstraße zum Frühstück ein. Satt, zufrieden und glücklich machen wir uns auf den Weg in den örtlichen State Park. Wir freuen uns auf Prairie und Bisonherden.
   Erster Kontakt mit der heimischen Tierwelt ist unerwartet der mit einer Sumpfschildkröte. Ein wohlmeinender Tourist bugsiert sie mit einem Stöckchen von der Straße. Wo man endlose Bisonherden erwarten würde, entdecken wir entfernt am Horizont ein paar Präriehunde, die nur mit unserem Fernglas genauer zu beobachten sind. Schade. Lustig finden wir die Wildesel, die ein Stückchen weiter Autos beim Vorbeifahren behindern und warten, bis etwas Fressbares herausspringt. Wildesel sind es eigentlich nicht, ihre bei Siedlern oder Soldaten arbeitenden Vorfahren wurden nach Gebrauch hier zurückgelassen. Was besseres konnte ihnen nicht passieren.
   Dass das hier nichts mehr wird mit Büffeln, lassen die endlosen über die weiten Hügel gezogenen Zäune erahnen, die uns jetzt erst auffallen, da näher an der Straße. Das Event des Jahres, das "Buffalo Round-Up" steht kommendes Wochenende an, an dem die Tiere zusammengetrieben werden, um sie zu untersuchen, kranke Tiere auszusondern oder manche für Auktionen bereitzustellen - ein Volksfest, wo sich Tausende Schaulustiger noch zu nachtschlafender Zeit auf zwei Arealen im Park Schlachten um die besten Plätze für das morgendliche Spektakel liefern. Unser Pech - die Bisons sind wohl schon "eingekesselt" und somit aus dem "normalen" Verkehr gezogen.
   Umso größer ist die Freude, als wir - weit nach dem "Wildlife Loop" - doch noch richtiges Wild zu sehen bekommen: ein einsamer, gemütlich die Straße entlangtrottender Riesenbison, offenbar kennt er das anstehende Theater schon und hat sich aus dem Staub gemacht, und eine kleine Herde Gabelböcke, die friedlich in ein paar Metern Entfernung grasen.
   Spektakuläre Landschaft bietet der Needles Highway. Über 30 Kilometer windet sich die schmale Passstraße in nordwestliche Richtung durch Pinien- und Fichtenwälder, vorbei und teilweise per Tunnels mitten durch bizarre Felsformationen - die Needles. Ähnliche Strukturen kennen wir eher von Sandstein, hier ist's aber knallharter Granit, der durch aonenlange Einwirkung von Wind, Regen, Frost und Tauwetter so filigran modelliert wurde.
   Die Tunnels sind nur einspurig befahrbar, sind zwar kurz, aber sehr eng, gerade mal Platz für ein kleineres Wohnmobil. Hier heißt es jedesmal stoppen und auf Gegenverkehr gucken. Aber man macht's gerne - ist ja ein sehr fotogenes Motiv. Nach dem ersten stellen wir uns allerdings die Frage, weshalb das Ungetüm von "Stagecoach Travels"-Reisebus, der von Anfang an mal vor, mal hinter uns hergezockelt ist, immer noch hier herumfährt. Wir verstehen es nicht - Hans meint, vielleicht kennen die Busfahrer Schleichwege, aber irgendwie sieht das Gelände nicht danach aus.
   Nach einem Picknick mit Monster-Gebäckteil aus der Custer-Bakery und in Sprungweite zu unserem Auto - falls etwas größeres als ein Eichhhörnchen auftauchen sollte - hält unsere Route noch ein besonders apartes Nadelfelsen-Exemplar bereit: "Needle's Eye", das Nadelöhr ist unbestrittenes Highlight auf dem Highway. Entsprechend voll ist der enge Platz davor - eigentlich nur eine 90-Grad-Kurve mit anschließendem Tunnel, kreuz und quer parkenden Autos und jede Menge Leuten dazwischen. Schade nur, dass die Sonne beginnt, hinter dunklen Wolken abzutauchen.
   Zeit, sich langsam ein Quartier zu suchen und zwar in Keystone, der idealen Ausgangsbasis für den Besuch von Mount Rushmore. Heute ist es bereits zu spät und morgen sicher netter bei blauem Strahlehimmel. Ein kleiner Vorgeschmack auf unsere Präsidenten-Tour morgen erwartet uns dann hinter einer Kurve (da wären wir vermutlich vorbeigefahren, hätten nicht auf einem Parkplatz so viele fotografierende Menschen gestanden): Von oben lugt das markante Profil von George Washington aus dem Felsen. Ist schon eindrucksvoll - wir freuen uns auf morgen! Als Zugabe grasen direkt am Waldrand zu Lindas Entzücken auch noch drei Bergziegen - schneeweiß und wuschelig. Und einen Blick auf alle vier Präsis kann man kurz vor Keystone auch noch erhaschen.
   In einem süßen kleinen Motel etwas abseits der Hauptstraße bekommen wir ein Zimmer, nett eingerichtet, geräumig, sogar mit Kamin (der allerdings nur Plastikpflanzen beherbergt) und mit möblierter, blumengeschmückter Terrasse. Ein abendlicher Spaziergang durch das Örtchen vertreibt uns die Wartezeit auf einen Platz in "Ruby's House", den Fotos an der Wand nach ein ehemaliger Saloon mit Bordell, in dem wir ein feines Abendessen bekommen. Die Bedienungen springen stilgerecht in Rüschenröckchen, knappen Oberteilen und Netzstrümpfen herum. Den Tag lassen wir auf unserer hübschen Terrasse ausklingen - bei Zigarettchen und dem Rest Wein aus der Custer-Tanke. Es hat begonnen zu regnen.

   Heute sieht's nicht so aus, als würden wir die Präsidenten zu Gesicht bekommen: Zum Regen hat sich Nebel hinzugesellt, der schon die Häuser auf der Hauptstraße verschluckt. Beim Frühstück - Hans erwischt irgendetwas Weißes mit Vanillegeschmack anstatt Milch - erfahren wir zum ersten Mal im (obligatorisch in verzerrtem Format belassenen) Fernsehen etwas über die Ausmaße der Flutkatastrophe, die weite Teile rund um Boulder heimgesucht hat. Wird spannend, wieder nach Denver zurückzugelangen, zumal wie geplant von Westen, wo überall Land unter ist. Aber da ist's ja noch drei Wochen hin...
   Wie befürchtet sind weiter oben die Sichtverhältnisse gleich Null - der Felsen mit den berühmten Häuptern ist nicht einmal wahrzunehmen. Ziegen gibt's heute auch keine am Parkplatz von gestern. Die Fahrt wieder runter nach Custer zum Crazy Horse Monument, dem indianischen Pendant zu Rushmore, ist auch vergebens - absolut nix zu sehen. So kehren wir wieder um und machen uns auf den Weg in die Badlands und hoffentlich in die Sonne. Als wir wieder den Präsidenten-Felsen passieren, wabern die Nebelschwaden zwar immer noch umher, aber nicht mehr ganz hinunter zum Eingang. Wir stoppen schnell am Straßenrand im absoluten Halteverbot und lauern auf eine Wolkenlücke für ein paar Fotos - wenigstens aus der Ferne - den Eintritt können wir uns sparen. Die Starfotos vor stahlblauem Himmel sind's nicht gerade, aber immerhin Belege unseres Besuchs hier. Und überhaupt, vernebelte Präsidenten bekommt auch nicht jeder alle Tage zu Gesicht (v.l.n.r: George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt, Abraham Lincoln).